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Chaza Charafeddine
Ich kam 1964 in Tyros an der Mittelmeerküste im südlichen Libanon zur Welt und wuchs ebenfalls am Meer, in Beirut auf. Den größten Teil meiner jungen Jahre verbrachte ich aber in kühleren Ländern, in denen die Sonne nur selten scheint.
Ich stamme aus einer religiösen Familie, bin selbst aber nicht gläubig. Ich habe Pädagogik und Tanz studiert, bevor ich zur Kunst und zum Schreiben fand.
Ich spreche vier Sprachen, aber beim Schreiben kann ich mich nur auf meine erste Sprache verlassen.
Den Libanon kannte ich in Friedens- und Wohlstandszeiten ebenso wie in Zeiten des Bürgerkriegs und der Besetzung durch ausländische Truppen. Deutschland erlebte ich zuerst als geteiltes, dann als geeintes Land. Und in der Schweiz trieb mich als Libanesin vor allem eine Frage um: Warum nannte man mein Land die „Schweiz des Nahen Ostens“? Abgesehen von schneebedeckten Gipfeln hinter einer Wasserkulisse konnte ich zwischen den beiden Ländern nämlich keine weiteren Gemeinsamkeiten entdecken.
Nachdem ich 21 Jahre lang zwischen den genannten drei Ländern hin- und hergependelt bin, ging ich 2007 nach Beirut zurück, wo ich bis heute lebe. Aber mich auch bis heute frage, ob ich wirklich in dieser Stadt bleiben soll, in der man sich nie sicher fühlt, oder ob es nicht wieder Zeit ist, die Koffer zu packen und in ein vielleicht kaltes, aber sicheres Land zu ziehen. Bei all dem frage ich mich zudem, ob die vielen Widersprüche, die ich erlebt habe, mich wirklich bereichert haben. Zumindest haben sie mich in die Lage versetzt, mich in höchst ereignisreichen Zeiten zurechtzufinden, und durch das Schreiben habe ich versucht, in diese Zeiten zurückzureisen. Oft denke ich, dass ich ähnlich widersprüchlich schreibe wie ich gelebt habe, in einem ständigen Auf und Ab. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, bemühe ich mich, bei einer Sprache zu bleiben, einem Beruf nachzugehen, mich in einem Land zurechtzufinden und möglichst gar nicht mehr umzuziehen.
Eine Vielzahl ihrer literarischen Texte sind in libanesischen Feuilletons (Nawafidh, Al-Safir, Al-Nahar) sowie in Kunst- und Kulturmagazinen wie dem documenta online magazine (2007), in Kalamon Review und im Rusted Radishes Art Journal erschienen. 2012 dann bei Dar Al-Saqi ihre Novelle „Flashback“, eine Sammlung von Texten über ihre Kindheit und Jugend, die so geschrieben sind, wie sie sie damals geschrieben hätte – aus der Sicht des Kindes. Sie stellen ein narratives Dokument des gesellschaftlichen Wandels dar, den sie bis zu ihrem 18. Lebensjahr durchlebt hat. Im selben Verlag erschien 2015 eine Sammlung von Kurzgeschichten unter dem Titel „haqibatun bilkadi tura“ (Ein fast unsichtbarer Koffer), die von ihrem Leben in ihrer zweiten Heimatstadt Berlin handeln.