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"Mich interessiert der Einzelne, der dem Staat einsam gegenübersteht"

"Mich interessiert der Einzelne, der dem Staat einsam gegenübersteht": Interview mit Antoine Volodine

Monsieur Volodine, wie haben Sie es geschafft, von Jérôme Lindon verlegt zu werden, dem berühmten Verleger der Éditions de Minuit (Lindon war Entdecker von Samuel Beckett, Marguerite Duras, Claude Simon, Alain Robbe-Grillet, Jean Echenoz)?

Bevor ich bei den Éditions de Minuit verlegt worden bin, hatte ich schon vier Texte, vier Romane veröffentlicht, die zu jener Sorte Literatur gerechnet werden, die ich in Einige Einzelheiten über die Seele der Fälscher die "Mülleimer-Literatur" genannt habe, eine Art Unter-Literatur. Ich wollte also aus diesem Getto ausbrechen, aber ohne etwas wesentlich anderes zu schreiben. Ich glaube, alles, was ich geschrieben habe, liegt auf der Linie ein und derselben Entwicklung, und deshalb habe ich das Manuskript von Einige Einzelheiten über die Seele der Fälscher ohne irgendwelche weiteren Angaben, nur mit meiner Adresse versehen, bei allen Pariser Verlagshäusern abgegeben, darunter auch bei Jérôme Lindon. Er muss es wohl sofort gelesen haben, denn schon am nächsten Tag fand ich seine Antwort im Briefkasten; er hatte das Manuskript auf Anhieb angenommen. Von daher war der Übergang von einem Verlag zum anderen für mich nicht schwierig.

Lindon ist dafür bekannt, dass er nur Autoren mit Erstlingswerken neu in seinem Verlag aufnimmt. Einige Einzelheiten über die Seele der Fälscher hat er dann auch wie ein Erstlingswerk präsentiert. Warum hat er Ihnen diese Jungfräulichkeit gegeben?

Zunächst hat er meine früheren Romane gar nicht gekannt; er hat sie erst später gelesen, was aber nicht der Grund dafür ist, dass sie im Klappentext der neuen Romane bei ihm nicht erwähnt sind. Tatsache ist, meine ersten vier Romane sind abgestempelt, gebrandmarkt, weil sie in einer Science-Fiction-Reihe bei Denoël erschienen sind, einer sehr guten Reihe, mit vielen großen Autoren. Aber von der hohen Literatur aus wird dieses Genre nicht ernst genommen ... Sie kennen doch die abwertende, verächtliche Reaktion der Kritik, wenn vom Science-Fiction die Rede ist, ich nehme nicht an, dass das bei Ihnen nicht anders ist als in Frankreich, es ist einfach ein Etikett für minderwertige Literatur, die des Lesens nicht für würdig befunden wird.

Ist das nicht erstaunlich? Schließlich gibt es etliche berühmte Namen, die sich diesem Genre gewidmet haben, Orwell zum Beispiel, Aldous Huxley, die Brüder Strugatzki oder Stanislaw Lem, und die auch von der Warte der hohen Literatur aus anerkannt worden sind?

Es gibt immer Ausnahmen, aber im Großen und Ganzen wird das Genre von der Kritik übergangen und verschwiegen. Huxley und Orwell sind auch keine Science-Fiction-Autoren, sie streifen das Genre mit ihren politischen Fabeln, also Polit-Fiction, wenn Sie so wollen. Aber genau da liegt mein Problem. Wie schaffe ich es, dass jene Texte von mir, die unter dem Label Science-Fiction erschienen sind, als das anerkannt werden, was sie sind, nämlich keine Science-Fiction. Ich weise jede These weit von mir, ich hätte gute Science-Fiction-Romane geschrieben. Meine Texte sind unter diesem Etikett erschienen, aber die literarischen Elemente, die ich eingesetzt habe, gehören im weitesten Sinne zum Bereich des Phantastischen, Surrealen, es sind eher poetische Elemente, auch Elemente der politischen Fabel, die aber auf eine besondere, sehr poetische Weise von mir gehandhabt werden, was dem magischen Realismus nahekommt, während Elemente des Science-Fiction nur in beschränktem Maße, nur sehr oberflächlich darin vorkommen. Deshalb wäre es mir lieber, und ich würde es sehr begrüßen, wenn die Leser meine früheren Texte erst nach der Lektüre von Alto Solo und Einige Einzelheiten über die Seele der Fälscher entdecken würden und dann feststellen könnten, dass es sich um Texte handelt, die zur allgemeinen Literatur gehören, als wenn sie umgekehrt die beiden letzten Romane nach den ersten lesen und sie dann der Science-Fiction-Literatur zuordnen würden.

Liest man Ihre Romane, bekommt man schnell den Eindruck, dass Sie sich in der ganzen Weltliteratur sehr gut auskennen. Was sind denn Ihre Favoriten?

Es stimmt, ich habe einiges gelesen, ich lese furchtbar gern und mein größtes Vergnügen ist es, Texte zu entdecken, aber man sollte daraus nicht schließen, dass ich besonders kultiviert oder belesen bin, oder gar in der Lage wäre, eine Art enzyklopädisches Wissen über die Weltliteratur auszubreiten. Diese Charakterisierung mag für gut strukturierte Köpfe aus dem universitären Bereich gelten, bei mir funktioniert das je­doch anders. Ich archiviere die Texte, die ich lese, in meinem Gedächtnis, aber auf eine sehr spezielle, nebulöse Weise, mit dem Ergebnis, dass daraus statt einer sehr präzisen, enzyklopädischen Summe eine Art Gedächtnisspeicher für das wird, was ich mir im Laufe der Zeit aneignen konnte, ein breit gefächertes, vielleicht kollektives Literaturbewusstsein, das im Wesentlichen die Klassiker und jene Romane des zwanzigsten Jahrhunderts enthält, die ich besonders liebe, und aus diesem Bewusstsein schöpfe ich nicht unbedingt meine Inspiration, nicht die Ideen, aber doch eine ganze Reihe von Schreibtechniken.

Mein literarisches Bewusstsein funktioniert also anders, es ist sehr unpräzise, und ich zeige lieber diese Ungenauigkeiten, führe lieber die Nebel vor als die kühle, exakte Kultur derer, die eine Unmenge von Werken und Autoren nennen können. Ich möchte Ihnen auch gar nicht erst Namen oder Titel aufzählen. Einen starken Einfluss haben zweifellos lateinamerikanische Autoren auf mich ausgeübt, die Literatur des magischen Realismus. Darüber hinaus erscheint mir jede Form von Auflistung unangebracht.

Aber Ihre Romane könnten auch im Sinne der Bibliothek von Borges funktionieren, die ja nichts anderes abbildet als eine Art kollektives literarisches Bewusstsein, das heißt, sie tragen selbst dazu bei, dieses Bewusstsein zu bewahren?

Sagen wir es einmal so: Ich habe zur Literatur ungefähr dieselbe Beziehung wie zur Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, das heißt, ich hätte große Mühe, wenn es um präzise historische Fakten ginge, aber ich besitze zumindest ein historisches Bewusstsein, oder halt, aufgepasst!, ich vernehme vielmehr den Widerhall der Geschichte unseres Jahrhunderts und versuche, ihn in meinem Gedächtnis zu bewahren, was viel­leicht ein historisches Bewusstsein ergibt ...

Bleiben wir bei der Geschichte. In fast allen Romanen thematisieren Sie auf die eine oder andere Weise das Scheitern von Revolutionen, revolutionären Gruppen oder Bestrebungen und die Folgen dieses Scheiterns. Was interessiert Sie so sehr an diesem Thema?

Ich glaube, Ursprung aller Themen, die ich in meinen Werken zu Prosa verarbeite, ist die Geschichte des 20. Jahrhunderts, und ich verarbeite die Echos, die sie in mir hervorgerufen hat. Wir leben in einem Jahrhundert voller Zuckungen und Krämpfe, die im Übrigen alle an Hoffnungen gebunden sind, die, das ist ganz klar, vor diesem Jahrhundert geboren wurden. Meistens sind sie auf unheilvolle Weise konkretisiert worden, was die Welt aber im großen Stil verändert hat. Das meint man mit Revolution. Die tragische Geschichte des 20. Jahrhunderts besteht in der Kontinuität dieser Hoffnungen auf eine Veränderung der Welt, darauf, die richtigen Wege für diese Veränderung zu finden, und das trotz des systematischen Scheiterns, des vollständigen Schiffbruchs aller Versuche in dieser Richtung, ganz gleich in welcher Form sie stattgefunden haben und von welcher Bedeutung sie gewesen sein mögen. Diese furchtbare und andauernde Tragödie, die von permanenten Spannungen gezeichnet ist, von Momenten des Fortschritts und des Rückfalls, beschäftigt mich enorm; sie fasziniert mich, und sie liefert vielerlei dramatische Elemente und Themen für meine Romane.

Tatsächlich sind ja fast alle Bemühungen, die Welt menschlicher und gerechter zu machen, immer wieder in Terror und Gewalt umgeschlagen ...

 ... und genau das ist das Aufregende, Faszinierende, eine unerschöpfliche Quelle, sei es philosophischer, sei es literarischer Reflexion. Was könnte es Spannenderes geben, als diese fast genetische Tragödie in Literatur zu verwandeln, im Rahmen eines Romans zu verarbeiten. Diese Tragödie bewirkt, dass die Menschheit es nicht schafft, ihre Seinsbedingungen wirklich zu verändern, dass sie unaufhörlich Wege einschlägt, die sich als Sackgassen erweisen, und zwar meistens als entsetzliche Sackgassen, besonders im 20. Jahrhundert mit seinen Mitteln zur Massenvernichtung, auch zur intellektuellen Massenvernichtung; als solche verstehe ich beispielsweise die Medien.

Um Gewalt, sei es staatliche Gewalt oder die Gewalt revolutionärer Gruppen, geht es auch in Einige Einzelheiten über die Seele der Fälscher. An einer Stelle sagt Kurt, der Jäger aus dem BKA, zu Ingrid, der Terroristin: "Vielleicht werdet ihr Nachfolger haben, geistige Erben. Aber ihr, die Adler dieser brillanten Brut, ihr seid zerschlagen worden, seid isoliert." Zählen Sie sich zu diesen geistigen Erben der extremen Linken der siebziger und achtziger Jahre? Und was verbindet Sie persönlich mit der Geschichte dieser Linken?

Das ist eine heikle Frage, auf die ich nicht antworten möchte.

Was interessiert Sie denn an der Frage des Terrorismus?

Der Terrorismus gehört zu den Zuckungen der Geschichte des 20. Jahrhunderts, von denen ich soeben gesprochen habe. Er gehört zu den Versuchen, die Welt zu verän­dern, die Schiffbruch erlitten haben, gescheitert sind aufgrund der Pervertierung ihrer ursprünglichen Absichten.

Während ich mich mit dem deutschen Terrorismus beschäftigt habe, als Schriftsteller wohlgemerkt, war ich äußerst fasziniert von dem sonderbaren Aspekt, wie viele Frauen daran beteiligt waren, zum größten Teil eigentlich Frauen, zumindest nach meinen Informationen. Tatsächlich kann man glaube ich sagen, dass die RAF von der ersten Generation an feminisiert, ein Organisation von Frauen war. Wenn wir nun das Gebiet des streng Politischen verlassen und uns dem des Poetischen, Literarischen zuwenden, ist es höchst faszinierend, eine Organisation von bewaffneten Frauen vor sich zu haben, Frauen, die sich die radikale Veränderung der Gesellschaft zum Ziel gesetzt haben, die diese Gesellschaft mit Gewalt angreifen und sich deshalb vielerlei Entbehrungen auferlegen, die eine große, fast unmenschliche Leidensfähigkeit beweisen.

Ich finde, das ist ein ungeheuer reichhaltiges, spannendes Thema, insbesondere weil hier die männlichen Elemente der Gewalt, des Politischen und der Geschichte auf die weiblichen Elemente des Poetischen, der Liebe etc. treffen.

Warum haben Sie die Konfrontation zwischen der RAF und dem deutschen Staat als Folie für Ihren Roman genommen, und nicht die IRA, die ETA oder die Roten Brigaden?

Seit ich von der Roten Armee Fraktion gehört habe, das war etwa Anfang, Mitte der siebziger Jahre, habe ich ihre Aktivitäten sehr aufmerksam verfolgt, und ich muss sagen, dass meine Informationen, meine Eindrücke und mein Wissen sehr lebendig geblieben sind in mir, kein totes Archivwissen, denn ich habe alle mir zugänglichen Informationen mit einer gewissen Leidenschaftlichkeit aufgenommen.

Diese Gruppe hat sozusagen meine Alarmbereitschaft geweckt, ich meine, die literarische Alarmbereitschaft, während mich andere Gruppen, wie die von Ihnen erwähnten eher kalt gelassen haben, und daher weiß ich wenig über sie. Zum anderen sind die ETA, die IRA Organisationen, deren Hauptziel ein nationalistischer Sieg ist. Ihre Forderungen sind im Wesentlichen weniger ideologisch, weniger weltumspannend, weniger ehrgeizig, weniger phantastisch. Die RAF kämpfte gegen die Gesamtheit des auf dieser Welt herrschenden Systems. Zwanzig oder dreißig bewaffnete Personen, vor allem Frauen im Kampf gegen ein unerschütterliches und, wohlgemerkt, wirklich totalitäres System; eine Handvoll Leute, die sich an die Stelle der entschlafenen Massen setzten ... Ich habe darin ein episches Paradox gesehen, das sonst nirgendwo so klar und deutlich, so rein und reichhaltig zu Tage tritt, und deshalb habe ich diesen Stoff besonders geliebt.

Einige Einzelheiten über die Seele der Fälscher handelt also vom Scheitern einer revolutionären Bewegung, die im Rahmen eines allgemeinen Willens zur Veränderung der Welt oder des Lebens begann, aber bei der Pervertierung ihrer ursprünglichen Absichten endete ...

... das ist nicht der hauptsächliche Aspekt meines Interesses. Mich interessiert vielmehr und das zieht sich wie ein Leitthema durch alle meine Romane, der Einzelne, das Individuum, das der gesamten Gesellschaft, dem Staat einsam gegenübersteht. In dem Maße, wie man zum Beispiel in der politischen Literatur Beschreibungen von Revolutionen findet, die von den Massen, von riesigen Massen in Gang gesetzt worden sind, in dem Maße bin ich von der Idee des Einzelnen eingenommen oder fasziniert, eines einzelnen Individuums, das alles verändern will. Denn gerade aus dieser Haltung heraus entwickelt sich eine gewisse Anzahl politischer Phantasmen, insbesondere jenes Phantasma, mit einer sehr geringen Anzahl von Leuten, ja sogar allein, gegen den Staat und die gesamte Gesellschaft zu kämpfen. Das zu analysieren oder literarisch zu inszenieren, ist eine unglaublich spannende, fesselnde Sache. In meinem ersten Buch gibt es eine Episode, in der eine Person so etwas wie den Sturm auf den Winterpalast 1917 in Angriff nimmt. Er ist absolut allein. Ein Aufstand mit einer einzigen Person!

Kann man Ihr Buch trotzdem, oder gerade weil die Nachfolger und Erben dieser "brillanten Brut", nämlich die heutige Terroristengeneration, dieses politische Delirium mehr denn je an den Tag legen, als einen Aufruf begreifen, die MP gegen die Allegorie einzutauschen und die subversive Kraft der Feder wieder neu zu entwickeln?

Ich glaube nicht, dass es ein Appell in diese Richtung ist, aber es ist das, was ich gemacht habe; ich habe Romane geschrieben und keine Kommandoerklärungen. Ich habe überhaupt nicht den Anspruch oder Ehrgeiz, mich mittels meiner Texte an wen auch immer zu richten. Wir sollten ernst bleiben und nicht die Gattungen und Schlachtfelder vermischen. Allegorien sind einzig und allein in einem literarischen Universum subversiv, das nur abstrakt, nicht sehr eng oder solidarisch mit der sozialen und politischen Realität verbunden ist. Wörter und Sätze sind Wattekugeln. Ich bin Schriftsteller, ich schieße mit Wattekugeln, wenn ich Soldat wäre, würde ich angesichts dieser lächerlichen Munition mit den Schultern zucken.

Erlauben Sie eine Frage, die nach der Postmoderne anachronistisch erscheinen mag: Kann die Literatur eine subversive Kraft sein? Ihre Romane scheinen mir eine mögliche Antwort zu geben. Sie funktionieren nach einem Grundprinzip, das ich in Ermangelung eines besseren Begriffs einmal Parallelverschiebung nennen möchte, weil Sie stets parallele Welten vorstellen, in Parallelen zu unserer Welt wohlgemerkt, keine phantastischen, vergangenen oder futuristischen Universen, sondern sehr realistische.

Mir gefällt der Begriff der Verschiebung oder Versetzung sehr gut, zumal ich in einigen Werken [zum Beispiel in Alto Solo] von verschobenen und versetzten Welten gesprochen habe. Aber die Verschiebung ist kein einfacher literarischer Vorgang, das heißt, im Innern einer solchen verschobenen Welt, die alle Inhalte ihres kollektiven Gedächtnisses aus der sehr realen Welt des 20. Jahrhunderts schöpft, waltet eine ihr eigene Logik, eine den in ihr lebenden Personen eigene Logik, der diese Welt ihren ganzen Reichtum verdankt.

Im Rahmen dieser verschobenen Welten, die ich als Hintergrund, als Dekor setze, entwickle ich Personen, die im Innern dieser Welt selbst marginalisiert, also an den Rand gesetzt, verschoben sind, sei es, weil sie verrückt oder am Rande des Wahnsinns sind oder weil sie einen politischen Wahnsinn entfalten. Da diese Personen, denen ich mich in erster Linie widme, viel zu ausgefallen sind, ist es sehr schwierig, die Wege meiner Erzählung aufzuspüren, denn sie gehen von ihnen aus. Ich erzähle meine Geschichten meistens aus dem Innern ihres Bewusstseins und ihrer Gedanken, nur daraus entwickle ich die Wirklichkeit meiner literarischen Welten.

Es ist also schwierig, auf die Grundlagen meiner Erzählung zu stoßen, denn selbst wenn die Personen, die Gefangene ihres inneren Deliriums sind, aus diesem herausfinden, fallen sie wieder in eine befremdliche, verschobene Welt, die selbst nur ein Reflex der realen Welt ist. Aber dieser Mechanismus des ständigen Verschachtelns, der nachfolgenden Verschiebungen ist keine Allegorie oder Metamorphose, sondern pervertiert diese poetischen Verfahren, er verhindert jede Transparenz. Es gibt keine mathematische Gleichung, die es gestatten würde, so einfach von einer Welt in die andere überzugehen. Und hier liegt, denke ich, der große, der entscheidende Unterschied zwischen dem, was ich schreibe, und der Science-Fiction-Literatur.

Sie geben in Ihren Romanen ja genügend Hinweise auf ihre "Machart", so dass wir keine "Gebrauchsanweisung" für diese Verschiebungen benötigen, zumal sie dem Leser auch nicht weiterhelfen. Zwei Aspekte interessieren mich allerdings: Einmal die Namen Ihrer Figuren. In Einige Einzelheiten über die Seele der Fälscher sind es vertauschte Namen von RAF-Angehörigen für die Autoren und literarischen Kollektive, und typische deutsche, "germanische" Namen für die Polizisten, Straßen, Orte etc. Welche Rolle spielt die Namensgebung in Ihren Romanen?

Ganz allgemein ist sie eine Konsequenz aus den Verschiebungen, die ich vornehme. Es ist ja unmöglich, die Orte und Epochen dieser parallelverschobenen Welten geographisch oder historisch genauer zu situieren. Es gibt also eine innere Logik, einen Zwang, auch bei den Namen eine Verschiebung vorzunehmen. Jedenfalls hätte ich ungeheure Probleme, meine Personen Jean-Pierre oder Jean-Paul zu nennen. Solche Namen erscheinen mir völlig nichtssagend, selbst in der Wirklichkeit, wenn es sich tatsächlich um einen Jean oder Pierre handelt. So ist die Namengebung für mich vielleicht auch eine systematische Illustration meiner Beziehung zum Realen.

Handelt es sich bei dem Pseudonym Antoine Volodine auch um eine Art von Verschiebung?

Ich habe ein russisch klingendes Pseudonym gewählt, um eine gewisse Distanz zu dem Land und der Kultur deutlich zu machen, in denen ich lebe. Jahrzehntelang hat der Westen "Russland" und "Bolschewismus" verknüpft. Mein Name ist deshalb auch eine Herausforderung, ein Rest jugendlicher Aufmüpfigkeit, so etwas wie die erhobene Faust vor den trübsinnigen Gesichtern der zivilisierten westlichen Erwachsenen. Man kann in diesem Namen eine Vielzahl von Bedeutungen und Anspielungen finden, ein Name voller Wortspiele, der viele Schlüssel bietet, die ich jetzt aber nicht alle angeben möchte, ganz abgesehen von denen, die ich vielleicht selbst noch gar nicht kenne. Unter anderem steckt im Ende "odin", was auf Russisch "allein" bedeutet, den Anfang bildet das französische Wort "vol", was sowohl "Flug", "Vogelflug" oder "Fliegen" als auch "Diebstahl" und "Entwendung" bedeutet.

Der zweite Aspekt bezieht sich auf die Rezeption. Bei der Parallelverschiebung benutzen Sie auch Methoden der Verschlüsselung. Doch Sie geben dem Leser keine klare Möglichkeit zum Entschlüsseln. Das wissenschaftliche Instrumentarium nützt nichts. Die Verschiebung funktioniert nicht, wie Sie schon sagten, nach den Gesetzen der Analogie, der Allegorie oder der Metapher. Was sind Sinn und Zweck dieser literarischen Strategie?

Ohlala... Ich bin völlig einverstanden, mit Ihrer Analyse bezüglich der Schwierigkeiten des Entschlüsselns. Es handelt sich wirklich nicht um simple Übertragungen aus einer Realität in eine andere. Ein Großteil meiner Arbeit besteht aus diesem Kampf gegen zu einfache Allegorisierungen und Metaphorisierungen im Prozess der Verschiebung.

Aber ich verfolge bestimmt keine literarische Strategie, ich will einfach literarische Werke schaffen, die vielfältig und reichhaltig sind, die zum Nachdenken anregen, in die man sich in gewisser Weise verlieben kann, ohne gleich alle Schlüssel zu ihrer gründlichen Erforschung in der Hand zu haben. Es wäre eher angebracht, statt von Strategie von einem Komplex zusammenhängender Symptome zu sprechen: Ein Denken, dass sich nur sehr misstrauisch äußert, andeutungsweise, ein labyrinthisches Verteidigungssystem. Wenn mich nicht alles täuscht, sind dies Symptome der Dissidenz. Einer noch recht unerforschten Dissidenz, nämlich der im Westen.

Trotzdem habe ich den Eindruck, dass Ihre Literatur ein Versuch ist, der Reduktion auf vorhandene Schemata oder der Assimilierung und Integration in vorhandene Systeme zu entgehen, ein Versuch, die Vereinnahmung, zum Beispiel durch die Medien, zu verhindern.

 Nein, da steckt kein fester Wille, kein Kalkül dahinter. Ich glaube, dass ich zu Beginn meiner Schriftstellerexistenz ziemlich marginal bin, sehr weit weg von jener, wie Sie sagen, vereinnahmten Literatur bin. Alles, was meinen Schreibtisch verlässt, ist auf eine ganz natürliche Weise sonderbar, befremdlich. Ich mag den Ausdruck marginal eigentlich nicht, weil er, zumindest in Frankreich eine Vorstellung auslöst, die überhaupt nicht auf mich zutrifft, aber ich fühle mich wirklich sehr fremd. So sehr ich auch an der westlichen, europäischen Kultur teilhabe, so sehr befinde ich mich doch im Hintergrund, in einer gewissen Verlassenheit. Natürlich habe ich mich auch persönlich wegen der kulturellen Gegebenheiten im Westen zurückgezogen. Meine Romane sind also in einer gewissen Marginalität, in einer Art lebenswichtigem Exil entstanden, weshalb sie in meiner kulturellen Umgebung, im Bereich der Literatur, nach Exil riechen und eine große Fremdheit ausstrahlen.

Ein zentrales Thema Ihrer Romane sind Erinnerung und Verdrängung, Fragen der Geschichte. Was halten Sie von der Idee eines "Endes der Geschichte" wie sie von den postmodernen Philosophen angedacht wurde?

Also die Idee vom Ende der Geschichte bedeutet mir absolut nichts. Ich habe gar keine Beziehung zu den neuen Philosophen, die Sie angesprochen haben. Ich bedaure, hier nicht mehr sagen zu können, aber auf dem Gebiet der Philosophie kenne ich mich überhaupt nicht aus ...

Was das 20. Jahrhundert betrifft, denke ich doch, dass ich in meinen Romanen das Gegenteil eines Endes der Geschichte zeige, das geschichtliche Chaos, den chaotischen Vormarsch der Geschichte. Aber so formuliert, finde ich das nichtssagend, ich weiß nicht, ob ich überhaupt etwas zeigen will.

Ich glaube, meine Romanfiguren kämpfen einen einsamen, oft tragischen Kampf mit dieser Geschichte, gegen Maschinerien der Geschichte, die dazu dienen, sie zu zermalmen. Sie leben mitten in dieser chaotischen Gewalt der Geschichte, und häufig schwimmen sie gegen den Strom der Geschichte. Nicht dass ich ein Porträt der Geschichte zeichnen wollte, aber sie ist in allem präsent, was die Landschaft ausmacht, in der sich meine Romanfiguren bewegen. Ich zeige die Geschichten, die Schicksale einzelner Individuen vor dem Hintergrund eines historischen Chaos, einer verschobenen Historie, in der ich meine Erinnerungen an das 20. Jahrhundert festhalte.

In jenem Roman, den Ingrid sich in Einige Einzelheiten über die Seele der Fälscher ausdenkt, wird aber eine Gesellschaft auf der Suche nach ihrer vergessenen und verdrängten Geschichte porträtiert. Zeigt das nicht eine Absicht, die darin bestehen könnte, die Geschichte, die vielleicht von Verdrängung und Vergessen bedrohte Geschichte des 20. Jahrhunderts aufzubewahren?

Wenn ich davon gesprochen habe, die Geschichte des 20. Jahrhunderts oder vielmehr ihre Echos in meinem Gedächtnis zu bewahren, heißt das vielleicht, dass ich das alles, die Verdrängung, die Leiden und die Tragödien beobachte, konstatiere, festhalte; aber es steckt keine bestimmte Absicht dahinter, keine Absicht, irgendwelche Wahrheiten über die Geschichte oder die verdrängte Geschichte herauszufinden und zu verkünden, auch kein moralischer Appell, man solle sich an dies und jenes erinnern. Ich werfe nur einen persönlichen, sehr kritischen Blick auf die Geschichte, und ich habe nicht die geringste Hoffnung, durch meine Texte in irgendeiner Weise an einer Veränderung der Dinge mitzuwirken.

Monsieur Volodine, vielen Dank für dieses interessante Gespräch.

 Holger Fock, Berlin/Orléans

 

 

Der Roman "Einige Einzelheiten über die Seele der Fälscher" ist Teil des EU-kofinanzierten Projektes "Grenzenloses Mittelmeer - ein vielsprachig gewobener Teppich"



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